BERGE DER UTOPIE
Worpswede und Ascona ... zwei Orte mit klangvollen, geradezu magischen Namen. Beides berühmt gewordene (Künstler-)Kolonien mit einem ebenso berühmten „Hausberg“ – dem Weyerberg hier, dem Monte Verità da.
Künstler, Kolonien, Kommunen
Während unterhalb des Weyerberg Heinrich Vogelers Barkenhoff zum bedeutendsten deutschen Künstlerwohnsitz des frühen 20. Jahrhunderts wird, entwickelt sich der „Tessiner Zauberberg“ zum Aufsehen erregenden Schmelztiegel aller lebens- und kulturreformerischen Sehnsüchte, Experimente und Visionen. Wer neue Wege gehen will, wer die Freiheit sucht und Alternativen zu einer von Technik und Kapital dominierten Welt, der kommt zum Monte Verità. Vegetarier und Anarchisten, Pazifisten und Psychoanalytiker, Feministinnen und Prediger der sexuellen Revolution finden sich mit Theosophen, Künstlern und Ausdruckstänzern in den unterschiedlichsten Gemeinschaftssiedlungen zusammen, vereint im Traum von einer klassenlosen Gesellschaft. Eine (heute zum Mythos gewordene) einzigartige Mischung.
Doch auch an Worpswede gehen die Wogen der Zeit nicht vorüber: Zurückgekehrt aus dem Ersten Weltkrieg, öffnet Heinrich Vogeler 1918 den Barkenhoff als Zufluchtsort für politisch verfolgte Kommunisten und Sozialisten; kurz darauf gründet er mit der „Arbeitsgemeinschaft Barkenhoff“ eine Kommune, für die er seinen gesamten Besitz zur Verfügung stellt. Das Ideal: Zusammenleben in einer besitzlosen Gemeinwirtschaft, die sich nach Möglichkeit selbst versorgt.
Aufbrüche zwischen Weyerberg und Monte Verità
Was in Ascona begann, findet in Worpswede eine Fortsetzung – und umgekehrt. Einflüsse gehen hin und her, Ideen ebenso wie Menschen. Ende der 1920er reist Vogeler schließlich nach Ascona, um dort mit Fritz Jordi die Landkommune „Fontana Martina“ aufzubauen.
Die Cosmos Factory hat die faszinierenden Verbindungen zwischen Worpswede und Ascona bei intensiven Recherchen an beiden Orten erforscht. Auf dieser Basis wurde Berge der Utopie entwickelt - ein Stück rund um die Barkenhoff-Kommune und den Mythos Monte Verità. Ein Stück über Heinrich Vogeler, die Rote Marie, Fritz Jordi, Friedrich Wolf, Charlotte Bara und Carl Meffert, ein Stück über Kropotkin, Gusto Gräser, Erich Mühsam, Otto Gross, Rudolf von Laban, Mary Wigman und viele andere mehr.
Am Originalschauplatz Barkenhoff lässt das Ensemble von BERGE DER UTOPIE mit Schauspiel, Musik, Tanz und Gesang ihre in Worpswede und Ascona entwickelten Ideen lebendig werden – und den Zuschauer die Höhen und Tiefen erleben, die sie bei den Versuchen, ihre Visionen zu verwirklichen, durchlaufen haben. Diese Aufbrüche in neue Lebenswelten sind hochaktuell – nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen Krisen.
„Zwei Stunden dramatische Geschichte, packendes Schauspiel und philosophischer Diskurs: Die „Berge der Utopie“ hinterlassen einen tiefen Eindruck. Das liegt in erster Linie an den tadellosen Leistungen der Schauspieler Juliane Fechner, Nicole Janze, Juliane Kissner, Dieter Kölsch, Oliver Peuker und Wolf Scheidt, die singend und musizierend, tanzend und sprechend rund 35 Personen verkörperten.
Aber auch die großartige Umsetzung des Ortes, der Umgang mit den wenigen Requisiten, das Licht und die nahtlosen Übergänge zwischen den einzelnen Szenen trugen maßgeblich zum Erfolg der Inszenierung bei - ein dickes Lob an Produktionsleiterin Ute Falkenstein und ihr Team hinter den Kulissen.“
Nordsee-Zeitung, 30. Juli 2010
„Die Zuschauer werden mitgerissen in einen Strudel der Gefühle, in die Enttäuschung der Brüder Karl und Gusto Gräser, als ihnen bewusst wird, dass ihre Mitstreiter nicht das völlig von Geld und Gesellschaft unabhängige Leben planen, sondern vielmehr ein Sanatorium aus Monte Verità machen wollen, dessen Besucher dafür zahlen müssen. Und in die Verzweiflung Otto Gross‘ nach dem Selbstmord von Sophie Benz, bei dem seine eigene Rolle nicht ganz geklärt war. Und natürlich in die Hoffnungen Heinrich Vogelers, seine Arbeitsschule zu errichten, in sein Mühen und Bangen und dann in seine Resignation, als ihm klar wird, dass er mit keiner Unterstützung seitens der Behörden zu rechnen hat. (...) Auf dem Hügel, im Wald, auf einer kleinen Hütte im See: überall wird gespielt, und die Augen des Publikums werden magisch von den scheinbar von überall her auftauchenden großen Persönlichkeiten angezogen.“
Osterholzer Anzeiger, 04. August 2010
„Das Theaterstück spielt in einer romantischen Waldschlucht unmittelbar hinter dem zum Museum umgewidmeten Barkenhoff. Eine Naturidylle - und deshalb für das anliegende Thema besonders geeignet. So ähnlich stellt man sich die Szene vor, wenn im Tiefurter Park - sicher weniger professionell als von der Truppe hier - Goethes "Fischerin" gespielt wurde. Ein halbverlandeter kleiner See, von hellgrün leuchtenden Wasserlinsen überzogen, wird von schwingenden Holzstegen überbrückt, die erst zu einer laubenartig offenen Hütte, dann in die Tiefe des dunkelnden Waldes führen. Aus dieser Tiefe der Schlucht oder aus der Waldhöhe darüber oder aus der jenseits des Teichs plazierten offenen Hütte tauchen die Gestalten auf, soweit sie nicht von links oder rechts aus dem flachen Wiesengrund kommen oder gar von der Höhe des Zuschauerbaus sich hörbar machen. Lebhaftes Bewegungsspiel also aus vielerlei Richtungen, immer in der ebenen Platzmitte zusammenlaufend.
Und das klappt vorzüglich. Wie ein Uhrwerk, Schlag auf Schlag, rhythmisiert und akkordiert, laufen die Einsätze ab, mehrmals zu Slapstickeffekten oder gar zu wirbelnden Tanzekstasen sich steigernd. Weniger in einer Konfliktspannung als im ironischen oder ekstatischen Körperspiel findet die Handlung Zuspitzung und Zusammenhang. Das gilt besonders für den ersten Teil, die Geschichte des Monte Verità. Der Psychoanalytiker Otto Gross, Anarchist und Sexualimmoralist, Frauenbefreier und Frauenverführer, setzt ein Karussell der Paarungen in Gang, dass die Stellwände erzittern. Rudolf Laban, der große Choreograph, entfesselt einen dionysischen Feuertanz, von den Darstellern in jugendstilhafter Grazie glanzvoll exekutiert. Einsam wie das Rhinozeros wandelt Gusto Gräser, der Dichter und Seher des Monte Verità, über die Stege des grünen Teichs, seine Gedichte rezitierend, und verliert sich im Dunkel des Walds. "Wo Menschling hintritt, o Grauen, mit eiserner Vergewalt, da wird es öd in den Auen, und kalt. Da muss die Heimat verderben, muss Lust und Liebe ersterben - denn nieder tritt er den Wald!" Seine Warnung von 1910 wirkt wie heute gesprochen, ist aktueller denn je.
Problematischer und tragischer wird es im zweiten Teil des Stücks, das dem Barkenhoff und der Siedlung Fontana Martina gewidmet ist. Das Hin-und-Her der ideologischen und erotischen Auseinandersetzungen, Vogelers trauriges Ende in Kasachstan und die Fraglichkeit seiner sowjetischen Utopie - solche Vorgaben bieten wenig Anlass für Euphorie, eher schon für eine trotzige Dennoch-Melancholie, die in einem halb lustigen, halb verzweifelten Hüttenfest am Ende sich entlädt. In Erinnerung bleibt vor allem der Monolog eines graubärtigen Denkers, in dem man zunächst Karl Marx vermutet, der sich dann aber als Peter Kropotkin entpuppt, der russische Philosoph, der sowohl für Ascona wie für Worpswede ein Wegweiser war. In seiner Vision einer Gemeinschaft in "gegenseitiger Hilfe" überlebt dann doch ein heute noch gültiger Funken der Utopie.
Eine glanzvoll gelungene Aufführung. Ein historisches Lehrstück in mondbeglänzter Sommernacht.“
Besprechung von Hermann Müller, Deutsches Monte-Verità-Archiv, Freudenstein
30. Juli 2010